Silvia Lorenz

sculpture – drawing – transport – wildlife

Spur der Ziegel, Klosterscheune Zehdenick, 8. Juli – 3. September 2023

Gruppenausstellung mit Werken von: Fritz Best, Walter Dahn, Martina Minette Dreier, Ana Dominguez&Omar Sosa, Nicholas Ganz/Keinom, Philipp Grözinger, Georg Herold, Jatiwangi Art Factory, Beatrice Jugert, Folke Köbberling, Silvia Lorenz, Cuong Bui Manh, Timo Moors, Moholi Ndking, Mariel Poppe, Hartmut Röhl, Frank Sanderink, Ulf Schüler, David Shrigley, Marion Steer, Christian Uhlig, Fred Ute, Henry Wegener, WerDa

Gefördert von: Kulturland Brandenburg 2023/ Baukultur leben

Eröffnung am 8.7.2023 mit Reden von Roy Lepschies, Ziegeleipark Mildenberg; Dr. Christian Spunk Seipel, Leiter der Galerie und Live-Konzert der Band Wonderska

Spuren der Ziegelindustrie in Zehdenick und der Ziegel in der Kunst – Christian Spunk Seipel

Als das Städel in Frankfurt im Jahr 2020 aus seinem Depot ein, im Stil der Neuen Wilden großformatig gemaltes Frühwerk von GEORG HEROLD aus dem Jahr 1981 hervorholte und in seiner Kellergalerie dauerhaft aufhing, kam es zu einem Aufschrei und intensiven Diskussionen in den internationalen Feuilletons. das Bild, auf dem man siegt, wie eine Meure an einer Ampel einen Ziegel auf einen fliehenden Mann wirft ist schlicht mit Ziegeln* betitelt. Die Frage drehte sich um den Bildinhalt, vor allem aber darum, ob das N*-wort heute nich Teil eines Bildtitels sein kann. Von Georg Herold, der später neben seinen Latten- und Kaviarbildern auch Ziegel auf die Leinwand bannte, zeigen wir eine undatierte Zeichnung aus Berliner Privatbesitz, die wie eine Vorzeichnung zu seinem Skandalbild erscheint.

MOHOLI NDKING, der in der DDR als Kind von namibischen Eltern aufgewachsen ist, nahm dieses Bild zum anlass, um seine “Ziegeln*” zu zeichnen. DDR-Vertragsarbeiter, die unter anderem in der Ziegeleiproduktion in Zehdenick gearbeitet haben und für die es keine Raum in der Erinnerung gibt. Seine großformatigen Porträts sollen an afrikanische Signwriter und Billboards erinnern und in den Stadtraum hineinwirken. Den ehemaligen DDR-Vertragsarbeitern, die teils unter menschen-unwürdigen Bedingungen und ausgegrenzt von der weißen Mehrheitsgesellschaft, wird so ein Gesicht gegeben.

Auch FRITZ BEST verfolgt ein Projekt, das noch in Arbeit ist, Menschen, die mit der Ziegelindustrie in Zehdenick verbunden sind, “Denkmäler” zu setzen. Er lässt sich ihre Geschichten erzählen, scheidet ihr Porträt in Linol und einen prgnanten Satz dazu und druckt diese in Tonplatten. Gebrannt werden sie im Stadtraum vielleicht auf Jahre von dem Schicksal der Menschen in Zehdenick berichten und zum Nachforschen nach den Spuren der Ziegel anregen. Nicholas Ganz/ Keinom setzt mit seinem Graffiti auf Papier, das ursprünglich als Serie für den Zehdenicker Stadtraum gedacht war, den Ziegelarbeitern ein Denkmal ganz eigener Art.

Gleich zwei Künstlerpersönlichkeiten, MARION STEER und TIMO MOORS, nutzen die Spuren der Zigel, in dem sie gerbannte Ziegel zu Pulver verreiben und damit neue Bilder schaffen. Marion Steer zeigt die farbliche Bandbreite und das Potential, das in gemahlenen Zigelen steckt. timo Moors nahm Ziegelpulver von einer Wand in Berlin-Weissensee und “porträtierte” diese im Detail.

WALTER DAHN, einer der führenden Köpfe neben Georg Herold der “Neuen Wilden”, malte Anfang der 1980er in Köln dagegen ganz andere Ziegelporträts. Vermenschlicht er die Ziegel oder werden bei ihm die Menschen zu dummen “Ziegelköpfen”? Dass man aus Ziegelsteinen auch wunderbare Köpfe aus dem Material hervorholen kann, zeigt der Bildhauer ULF SCHÜLER, der in einer anderen Ziegelmetropole, Geltow bei Potsdam, lebt und arbeitet. Es sind Charakterkpfe, die nicht zuletzt durch die Unregelmäßigkeiten im gebrannten Ton ihren ganz besonderen Ausdruck gewinnen.

PHILIP GRÖZINGER zeigt in seinen fulminanten Malereien und einer Zeichnung Ziegeleien. Zwischen kunsttheoretischen Fragen um die Malerei und Anlehnungen and die Outsiderkunst changierend zeigt er die Ziegelindustrie und ihre Auswirkungen auf die Umwelt. Dem setzt der “Wanderkünstler” FRED UTE einen Entwurf für die Rückführung des Materials vom Ort der Nutzung (Berlin) zum Entstehungsort (Zehdenick) eine nachhaltige, vor allem besinnliche Arbeit entgegen. Nicht nur Zeit, Aufwand des Transports, sondern auch Entfremdung von Produktion und Nutzung sind Themen dieser konzeptionellen Arbeit, zu der der Künstler einlädt.

HENRY WEGENER greift diese Fragen der Nachhaltigkeit auf und formt aus geschredderten Büchern neue “Ziegel”, die aber statt zum Hausbau, für die Wärmerzeugung genutzt werden. Sein Titel spielt sowohl auf das bekannteste Werk von Sigmar Polke (Höhere Wesen befahlen rechte obere Ecke schwarz zu malen) wier auf die Theoriegläubigkeit des Sozialismus an. Ähnlich arbeitet FOLKE KÖBBERLING, die aus Erde Ziegel formt, die sich durch die Witterung zu “Seedbombs” verwandeln und aus dem steinernen Stadtraum blühende Landschaften entstehen lässt.

SILVIA LORENZ` Installation von Ziegelmodellen auf Einkaufstrolleys berichtet von der industriellen Produktion und Verarbeitung, von den Transporten der Ziegel, stellt aber auch Fragen nach der Nichtmobilität von Immobilien und was dies für Menschen und Gebäude bedeutet. Das leichte Material des Ziegels aus Papier steht in starkem Kontrast zu allem, was wir dem Baustoff, der aus Erde geschaffen wird, verbinden. Eine Stadt auf Rädern, die an einem Ort wie Zehdenick eine eigene Bedeutung gewinnt und die in den Bildern von Brandwänden von MARTINA MINETTE DREIER aufgegriffen wird. Zehdenicker Ziegel sind das Material, aus dem Berlin gebaut. Reale Ziegel in Miniatur verwendet MARIEL POPPE für ihre Entwürfe und Modelle von Skulpturen aus Ziegeln. Die auch mit Originalziegeln ausgeführten (Seitenbemerkung: Ein ideales Kunstwerk für Zehdenick) zeigen auf, was aus Ziegeln jenseits stupider Wände geformt werden kann. Eine Einladung zum Träumen von einer besseren Architektur, wenn nicht gar Welt!

Die Installation von WER DA (Werner Kernebeck/ David Braithwaite) greift zwei ikonische Gegenstände, die mit Protestbewegungen der Vergangenheit und Gegenwart assoziiert sind und verschiedene Pole des Protestes aufzeigen, auf. Anspielungen an zahlreiche kunsthistorische Vorbilder (Kendel Geers, Mario Merz, Alexander Calder, Joseph Beuys, Rebecca Belmore, Santiago Sierra u.v.a.) verorten es ebenso in einen politisch verorteten wie poetisch zugänglichen Kunstkontext: “Die Menschheit ist in Bewegung. Überall auf der Welt rühren sich die Gemüter. Die Themen schweben in der Luft und im Bewusstsein der Menschen rund um den Globus. Wohin gehen wir? Wohin werden wir uns als nächstes wenden? Wer wird darüber entscheiden? Durch die Präsentation (…) als Mobile, laden (wir) den Betrachter ein, über diese Themen in ausgewogener Weise nachzudenken.” (Braithwaite, 2023)

Kunsthistorische Vorbilder nimmt auch BEATRICE JUGERT in ihren “Clouds of Joy” im Außenraum auf. Es ist ein Skulpturenensemle von vier Kissen, geformt aus 50kg frischem Ton. Die zur Ausstellungseröffnung noch feuchte Erdmasse impliziert die Weichheit realer mit Daunen or Füllwatte gefüllten Kissen. Jugert interessiert an dem Bild das Alltägliche. Sie versprechen eine gewisse Leichtigkeit auch im Hinblick auf die gewünschte Erholung oder den erhofften Schlaf, was durch Gewicht und Aussehen des bloßen Erdmaterials kontrastiert wird.

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Silvia Lorenz, Transport, 2023, mehrteiliges Skulpturenensemble (Metallgestelle, Pappe), Klosterscheune Zehdenick // Header Image: Silvia Lorenz, Schachtelstadt, 2007, Projektraum A43, Berlin

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